MUSS EINE BESCHULDIGTE PERSON EINER VORLADUNG IN DIE SCHWEIZ FOLGE LEISTEN

Ein Strafverteidiger hat den Auftrag, im Rahmen der Standesregeln sowie der Rechtsordnung die Interessen des Mandanten als Hauptziel zu verfolgen. Dazu darf, ja muss man auch mal unbequem sein.

NEUER FALL IM VERKEHRSRECHT. AKTEN BESTELLT UND AUF AUSSAGEVERWEIGERUNG HINGEWIESEN

Vor kurzer Zeit erhielt ich einen Rechtsfall im Bereich Verkehrsrecht einer Mandantin mit Wohnsitz in Deutschland. Was genau passiert war, wusste ich aufgrund der dünnen Aktenlage nicht. Mit Vollmacht der Mandantin teilte ich der Polizei die Vertretung mit und bat um Zustellung der Akten. Gleichzeitig teilte ich mit, dass meine Mandantin sich gerne vor einer Befragung durch mich beraten lassen möchte, wie sie sich verhalten soll. Bis dahin würde sie die Aussage verweigern. Einer ohne Einbezug meiner Mandantin auf einen Sonntag festgelegten Termin für eine Einvernahme zu gestellten Vorladung würde deshalb nicht Folge geleistet. Ich schrieb noch weiteres an die Adresse der Polizei.

POLIZIST RUFT AN UND BEHARRT AUF ERSCHEINUNGSPFLICHT

Heute erhielt ich dann einen Anruf vom Polizisten, dass er mir eine E-Mail geschrieben habe mit verschiedenen Vorladungsterminen. Diese E-Mail habe ich leider nicht erhalten, gleichzeitig habe ich ihn darauf hingewiesen, dass meine Mandantin nicht zu einer Vorladung kommen werde. Ich merkte, dass er innerlich schon leicht am Kochen war, wofür ich aber natürlich nichts konnte. Mit schon etwas zitternder Stimme belehrte er mich, dass man verpflichtet sei, einer Vorladung Folge zu leisten, ansonsten man mit negativen Konsequenzen zu rechnen habe. Ich entgegnete ihm daraufhin, aufgrund welcher gesetzlichen Grundlage er mir dies sage und eine Verpflichtung seitens meiner wohlgemerkt im Ausland wohnenden Mandantschaft bestehen sollte (an dieser Stelle sei klargestellt, dass die Mehrheit der Polizisten nicht derart schlecht über die nachfolgend mitgeteilte Rechtslage informiert ist).

VERLETZUNG DER SOUVERÄNTÄT EINES FREMDEN STAATES

Nun, das Bundesgericht gibt Klarheit (klick):

Die schweizerische Staatsgewalt beschränkt sich auf das hiesige Staatsgebiet. Die schweizerischen Strafbehörden dürfen daher unter den gesetzlichen Voraussetzungen Zwang auf den sich hier befindenden Beschuldigten ausüben, nicht dagegen auf den sich im Ausland befindenden. Tun sie dies, verletzen sie die Souveränität des ausländischen Staates (BGE 133 I 234 E. 2.5.1 S. 239; HANS SCHULTZ, Male captus bene iudicatus?, SJIR 24/1967 S. 70 und 77 f.). Was die sich dort aufhaltenden Personen zu tun oder unterlassen haben, bestimmt jener Staat. Darin dürfen sich die schweizerischen Behörden nicht einmischen. Wollen sie auf den sich im Ausland aufhaltenden Beschuldigten zugreifen, dürfen sie das nur unter Mitwirkung und Zustimmung des ausländischen Staates tun. Sie müssen diesen also um Rechtshilfe ersuchen ( SCHULTZ, a.a.O.).

RECHTSHILFEWEISE BEFRAGUNG

Wollen die schweizerischen Behörden den sich im Ausland aufhaltenden Beschuldigten befragen, können sie den ausländischen Staat um die rogatorische Einvernahme durch dessen Behörden ersuchen. Dabei kann jener Staat gegebenenfalls die in seinem Recht vorgesehenen Zwangsmittel anwenden, um den Beschuldigten zum Erscheinen zu veranlassen ( DONATSCH UND ANDERE, a.a.O., S. 35, Bundesamt für Justiz, a.a.O.).

VORLADUNG IST EINLADUNG OHNE VERPFLICHTUNG ODER NACHTEILE

Vorladungen dürfen die schweizerischen Behörden dem sich im Ausland aufhaltenden Beschuldigten mithin zwar zukommen lassen. Zwangsandrohungen dürfen sie damit aber nicht verbinden. Die Vorladungen stellen damit, wie im Schrifttum zutreffend ausgeführt wird, in der Sache Einladungen dar, denen der Beschuldigte folgen kann oder – ohne Nachteil – nicht. Zwang androhen dürfen die schweizerischen Behörden dem Beschuldigten, wenn er sich, anders als im vorliegenden Fall, freiwillig in die Schweiz begibt und ihm die Vorladung hier zugestellt werden kann.

WAS KANN EIN ANWALT TUN?

Mit solchem und anderem Wissen vertreten Rechtsanwälte Ihre Rechte und Interessen.

Als Rechtsanwalt konnte ich der Mandantin den Weg in die Schweiz also ersparen und sie muss sich keine Sorgen machen.

Ich bzw. die Mandantschaft warten deshalb die rechthilfeweise Einvernahme ab, zu der sie bis auf die persönlichen Verhältnisse ebenfalls schweigen wird, bis ich endlich die Akten habe und die Mandantin beraten kann!

gian.pedolin@schweizer-rechtsanwalt.com
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