Die nachfolgenden Bemerkungen ersetzen keine individuelle Beratung. Sie sind aus Verständniszwecken vereinfacht dargestellt und nehmen keine Vollständigkeit in Anspruch.

Interessenskollisionen beim Vorsorgeauftrag: Ursachen, Risiken und Lösungen

Der Vorsorgeauftrag ist ein wichtiges Dokument, mit dem man im Voraus bestimmt, wer im Falle der eigenen Urteilsunfähigkeit für einen sorgen soll. Urteilsunfähigkeit kann beispielsweise durch eine Demenzerkrankung eintreten. Sobald dieser Fall eintritt, ist es oft nicht mehr möglich, die Wünsche und Interessen in konkreten Situationen zu erfragen.

Einige Fragestellungen:

  1. Was hätte die urteilsunfähige Person (nachfolgend der Auftraggeber) zum Beispiel in Bezug auf die Pflegeeinrichtung gewollt, in der sie unterkommt, wenn sie selbst nicht mehr zu Hause wohnen kann? Möglichst günstig oder so «angenehm» und damit teuer wie möglich?
  2. Was hätte der Auftraggeber im Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen gewollt? Möglichst keine oder möglichst alle nach dem jeweils aktuellen Stand der Medizin, um das Leben möglichst zu verlängern und / oder die Lebensqualität zu verbessern?
  3. Was hätte der Auftraggeber im Hinblick auf das Eigenheim gewollt, wenn er nicht mehr dort wohnen kann? Dass es jemand besonders zu einem tiefen Preis oder gar geschenkt erhalten soll oder aber es so teuer wie möglich vermietet oder gar verkauft werden soll?
  4. Was hätte der Auftraggeber als Teil einer Erbengemeinschaft gewollt? Hätte er die sofortige Erbteilung gewollt oder wäre er in der Erbengemeinschaft verblieben, zum Beispiel, um abzuwarten, ob sich das Landwirtschaftsland noch in wertvolleres Bauland umwandelt?
  5. Was hätte der Auftraggeber im Hinblick auf das Wohnrecht an einer Liegenschaft gewollt, welches er sich bei der Schenkung der Liegenschaft an die nächste Generation einräumen liess? Hätte er gewünscht, dass das Wohnrecht gelöscht wird, wenn er selbst nicht mehr in der Liegenschaft wohnt?

Als Vertrauensperson und beauftragte Person (z.B. Partner, Kind, nachfolgend Beauftragter) würden Sie vielleicht sagen: «Das kann ich alles ganz genau beantworten, da wir das besprochen haben»:

  1. Er hätte in ein möglichst günstiges Wohnheim gewollt, er war schon immer sparsam und hat es mir auch gesagt, nur nichts Teures, damit am Ende noch so viel Erbe wie möglich für dich verbleibt.
  2. Er hat seinen ausdrücklichen Wunsch geäussert, er möchte keine Luxusmedizin.
  3. Ja, er sagte mir, ich solle es schenkungshalber auf mich oder die beiden Enkelkinder gemeinsam übertragen, sobald er selbst nicht mehr in der Wohnung wohnt.
  4. Unbedingt in der Erbengemeinschaft verbleiben, bis klar ist, ob aus dem geerbten Landwirtschaftsland noch wertvolles Bauland wird, hat er mir gesagt!
  5. Natürlich löschen, bringt ja nichts mehr, sondern belastet euch als Eigentümer nur, und wenn Ihr es verkaufen wollt mit dem Wohnrecht, habt Ihr Schwierigkeiten!

Nun, wo könnte hier das Hase im Pfeffer liegen?

  1. Der Auftraggeber könnte selbst seinen damals geäusserten Willen nicht mehr bestätigen. Das erste Problem wäre also das Beweisproblem.
  2. Ferner kommt das Thema Interessenskollision ins Spiel.
  3. All das kann zu erheblichen rechtlichen Problemen führen!

Wieso Interessenskollision?

Rein objektiv-abstrakt betrachtet gereicht aus Sicht des Auftraggebers alles zu dessen Nachteil: er erhält eine schlechtere Betreuung als es möglich wäre («zu Gunsten» der Höhe des Erbes), weniger medizinische Behandlung als möglich («zu Gunsten des Erbes»), bei der schenkungshalben Übertragung verliert er Vermögen (möglicherweise zu Lasten des Staates, der vielleicht Sozialhilfe leisten muss), eine sofortige Erbteilung würde ihm zusätzlich verfügbares Vermögen geben (zu Gunsten des Staates, der das Geld, sofern kein anderes vorhanden ist, für Kosten verwenden kann), und das Wohnrecht hat auch einen Wert.

Sogar wenn der Beauftragte nach einem damals geäusserten Willen des Auftraggebers handeln würde (aber das nicht beweisen könnte), würde er dennoch gegen dessen objektiv-abstrakten Interessen und zum Vorteil von ihm oder von Dritten handeln, z.B. indem das Erbe höher ausfällt wegen weniger Verbrauch [i] oder aber dadurch, dass er Vermögen zu Lebzeiten des Auftraggebers auf sich überträgt.

Es würden sich objektiv-abstrakt betrachtet verschiedene Interessen in entgegengesetzter Richtung gegenüberstehen.

Das nennt man Interessenskollision.

Das Gesetz sagt zu Interessenskollisionen:

«Bei Interessenkollision entfallen von Gesetzes wegen die Befugnisse der beauftragten Person. » So in Art. 365 Abs. 3 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches.

«Befindet sich der Beauftragte in einer Interessenkollision, entfallen die Vertretungsbefugnisse in der entsprechenden Angelegenheit von Gesetzes wegen, solange und soweit die Interessenkollision besteht. Das trotz Interessenkollision im Namen der auftraggebenden Person abgeschlossene Rechtsgeschäft ist in dieser Hinsicht als einseitig unverbindlich zu betrachten. Mit dem Wegfall der Vertretungsbefugnisse ex lege wird ein zusätzlicher Schutz vor unrechtmässiger Vertretung für den Fall bezweckt, dass die Interessenkollision erst nachträglich festgestellt wird oder dass die Behörde trotz Kenntnis der Interessenkollision nicht oder zu spät handelt [ii]

Wenn man also das tut, was der Auftraggeber mal sagte, was seinem subjektiven Interesse entspricht, dieser Wille aber nicht bewiesen werden kann und dieser Wille nicht in dessen objektiv-abstrakten Interessen liegt, sondern ihm objektiv betrachtet schadet, entsteht abgesehen von der oben genannten Folge und einem möglichen Schadenersatzrisiko unter anderem auch die Gefahr des Strafgesetzbuches:

  • ungetreue Geschäftsführung (Art. 158 StGB)
  • Veruntreuung (Art. 138 StGB)
  • Weitere?

Solche Risiken will wahrscheinlich niemand in Kauf nehmen!

Was also tun?

Es gibt grob gesagt 4 Möglichkeiten (Mischvarianten möglich):

  1. Man tut nichts, verfasst also keinen Vorsorgeauftrag und überlässt alles der KESB.
    1. Nachteile: hohe Möglichkeit, dass die KESB einen Berufsbeistand einsetzt, der nicht nur (erheblich, vor allem im Vergleich zum Beauftragten) kostet, sondern den Auftraggeber und dessen Interessen überhaupt nicht kennt und damit „nur“ objektivierte Interessen wahrnimmt (und die Brille des Staates aufhat…). Allenfalls wechselnde Berufsbeistände.
  2. Man schreibt einen Vorsorgeauftrag, wählt jedoch eine neutrale Person als Beauftragten und verzichtet darauf, einen individuellen Willen in Bezug auf Anordnungen zu konkreten Themen zu verfassen, sodass stets das objektive Interesse gewahrt werden muss und wird (sodass die Gefahr von Interessenskollisionen minimiert wird)
    1. Nachteile: auch diese Personen kennen einen nicht so gut, wenn man sie überhaupt findet, wie die nächsten Angehörigen. Der individuelle Wille kommt nicht zur Durchsetzung, z.B. wird die Erbteilung vielleicht zu einem schlechten Zeitpunkt durchgeführt, nämlich zu früh, bevor das Landwirtschaftsland zu Bauland wird!).
  3. Man prüft bereits in den „guten“ Zeiten, ob man Vermögen zu Lebzeiten übertragen möchte (und andere Handlungen durchführen soll), wobei nicht unterschlagen werden soll, dass dies nicht nur mögliche Vorteile mit sich bringt, sondern auch mögliche Nachteile (Thema Ergänzungsleistungen, Verwandtenunterstützung). Weiteres regelt man im Vorsorgeauftrag, ohne jedoch einen Willen in Bezug auf Anordnungen zu konkreten Themen zu verfassen, sodass stets das objektive Interesse gewahrt werden muss und wird (sodass die Gefahr von Interessenskollisionen minimiert wird).
  4. Man nimmt im Vorsorgeauftrag solche Themen bereits voraus auf und baut den von der objektiv-abstrakten Interessenlage abweichenden konkreten individuellen Willen des Auftraggebers so genau und detailliert wie möglich und nötig in den Vorsorgeauftrag ein (das Thema Ergänzungsleistungen ist dann aber noch nicht erledigt!). Als zweiten oder ersten Schritt prüft man die Übertragung von Vermögen zu Lebzeiten (z.B. Übertragung des Wohneigentums und Eintragung eines Wohnrechts).
    1. Nachteil: Die KESB ist nicht „begeistert“

Wenn man diese 4. Variante wählt, hat man beweismässig klar dokumentiert, was der konkrete Wille in Bezug auf verschiedene Situationen ist. Ein Mangel an Beweisbarkeit liegt somit nicht vor. Der von den objektivierten Interessen abweichende individuelle Wille des Auftraggebers wird eindeutig und konkret definiert. Jeder, auch die KESB und Angehörige neben dem Beauftragten, können schwarz auf weiss nachvollziehen, was er tatsächlich gewollt hat und niemand kann behaupten, er hätte damals, bei der Errichtung des Vorsorgeauftrags, nicht gewusst, was er macht, denn damals war er ja noch urteilsfähig.

Man hat damit die Frage gelöst, was hat der Auftraggeber konkret und individuell wollte (zum Beispiel in Bezug auf die Pflege, medizinische Behandlungen, Vermögensübertragung, Löschung Wohnrecht). Der Beauftragte kann beweisen, dass er nach dem konkreten individuellen Willen des Auftraggebers handelt.

Wo können dann jetzt noch Probleme auftauchen? Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB)!

Gerade beim Einbau von klaren und konkreten individuellen Anordnungen im Vorsorgeauftrag abweichend von einem objektiven Interesse des Auftraggebers kann die KESB versucht sein, einen Weg zu suchen, die Validierung (Wirksamkeitserklärung bezüglich des Vorsorgeauftrages; dieses Verfahren ist gesetzlich vorgeschrieben und kann auch nicht durch Schreiben eines Vorsorgeauftrags umgangen werden!) oder die Einsetzung des Beauftragten zu verweigern. Denn die KESB erkennt beim Lesen eines solchen Vorsorgeauftrags genau, wohin die «Reise gehen kann», nämlich, dass die vom objektiven Interesse abweichenden individuellen Willensäusserungen im Vorsorgeauftrag zu einer Vermögensverminderung oder anderen Nachteilen des Auftraggebers führen könnten und damit am Ende vielleicht sogar der Staat zahlen müsste und zu Schaden kommen könnte.

Je deutlicher der Vorsorgeauftrag also von den objektivierten Interessen des Auftraggebers abweichend formuliert ist – etwa in Form von Vermögensübertragungen und Verzicht auf Rechten –, desto eher könnte die KESB motiviert sein, Gründe gegen die Anerkennung des Beauftragten oder die Validierung des Vorsorgeauftrags überhaupt zu suchen.

Die KESB könnte (ob sie damit erfolgreich wäre, wäre eine weitere Frage, siehe gegen Ende) argumentieren, dass die im Vorsorgeauftrag enthaltenen Anordnungen nicht im besten Interesse des Auftraggebers liegen, oder der Beauftragte als ungeeignet einzustufen sei. Gerade also ein detaillierter und unmissverständlicher Inhalt, der eigentlich Klarheit schaffen soll, könnte zu Konflikten mit der KESB führen, da sie ihre Aufgabe darin sehen könnte, den (objektiven) «Schutz» des Auftraggebers aus ihrer Sicht zu priorisieren (aber eigentlich staatliche Interessen wahrzunehmen wie Schutz vor Belastung der öffentlichen Finanzen).

Wo Licht ist, ist also auch Schatten, nicht nur im Leben, sondern auch im Rechtsleben.

Wer Konflikte mit der KESB vermeiden will, verzichtet auf detaillierte Anordnungen, alle anderen können es wagen

Wer den möglichen Kampf mit der KESB in jedem Fall scheut, egal, ob er den Kampf vielleicht sogar gewinnt, der lässt es am besten, detaillierte vom objektiven Interesse abweichende Regelungen zu verfassen, mit den entsprechenden möglichen Nachteilen:

  1. Die KESB verlangt die Unterbringung in eine teures Pflegeheim.
  2. Die KESB verlangt alle möglichen medizinischen Massnahmen.
  3. Die KESB verlangt den Verkauf der Liegenschaft per sofort und an den Meistbietenden, was dazu führt, dass die Liegenschaft nicht im «Familienbesitz» bleibt.
  4. Die KESB verlangt die sofortige Erbteilung, ohne darauf zu achten, dass in vielleicht 8-15 Jahren das Landwirtschaftsland zu Bauland werden könnte.
  5. Die KESB weigert sich, die Löschung des Wohnrechts zu «genehmigen» und verunmöglicht so einen höchstmöglichen Verkaufspreis oder den Verkauf an und für sich.  

Wer sich aber sagt, ich habe lieber mögliche Trümpfe in der Hand, die vielleicht nicht stechen oder für deren Anerkennung ich mit der KESB streiten muss, der baut solche konkreten Anordnungen lieber in den Vorsorgeauftrag ein (wenn er es denn möchte).

Wie gesagt, der mögliche Königsweg mindestens in einigen Bereichen wäre bereits eine zusätzliche Regelung in guten Zeiten (Stichwort Vermögensübertragung zu Lebzeiten).

Von objektiven Interessen abweichende Anordnungen des Auftraggebers in einem Vorsorgeauftrag – wenn die KESB sich weigert – wer würde den Kampf denn gewinnen?

Prognosen sind hier sehr schwierig, vor allem, wenn sie in der Zukunft liegen. Eine 100%-ige Sicherheit gibt es nicht.

Das Gesetz, welches die Möglichkeit des Vorsorgeauftrags vorsieht, besteht seit 2013, das ist gesetzgeberisch und vor allem aus Sicht der Rechtsprechung noch recht jung. Viele Entscheide gibt es noch nicht.

Jedoch ist folgendes zu sagen:

Der Vorsorgeauftrag ist ja gerade vom Gesetzgeber geschaffen worden als Werkzeug der Selbstbestimmung

«Der Vorsorgeauftrag steht im Dienst der Selbstbestimmung. Selbstbestimmung bedeutet auch Selbstverantwortung. Der Vorsorgeauftraggeber verfügt bei der Errichtung des Vorsorgeauftrags über eine grosse inhaltliche Gestaltungsmöglichkeit und seinen Anordnungen bzw. Anweisungen kommt eine grosse Bedeutung zu [iii]

«Die Erwachsenenschutzbehörde prüft im Rahmen der Validierung des Vorsorgeauftrags die Eignung der beauftragten Person (vgl. Art. 363 Abs. 2 Ziff. 3 ZGB). Interessenkollisionen können bereits in diesem Stadium erkennbar sein und dahingehend eine Rolle spielen, als sie u.U. (unter Umständen, der Schreibende) gegen die Eignung der vorgesehenen Person sprechen können. Um das Selbstbestimmungsrecht der vorsorgenden Person weitgehend zu wahren, hat die Erwachsenenschutzbehörde nach h.L. (herrschender Lehre, der Schreibende) bei der Beurteilung dieser Frage Zurückhaltung zu üben. Auch die Botschaft spricht sich für eine zurückhaltende Validierungspraxis aus. Die Erwachsenenschutzbehörde dürfe nur dann von sich aus die Eignung absprechen, «wenn offensichtlich ist, dass die bezeichnete Person ihren Aufgaben nicht gewachsen ist. [iv]»

«Hat die vorsorgende Person hingegen den Interessenkonflikt bei der Errichtung des Vorsorgeauftrags erkannt und war sie sich über dessen Tragweite im Klaren, wird davon ausgegangen, dass sie diesen in Kauf genommen hat [v]

«Diese differenzierte Betrachtungsweise hat auch in der Rechtsprechung ihren Niederschlag gefunden. Das Kindes- und Erwachsenenschutzgericht am Obergericht des Kantons Bern hatte einen Fall zu beurteilen, in dem Dritte u.a. (unter anderem, der Schreibende) die Eignung des Sohnes der auftraggebenden Person anzweifelten, mit der Begründung, dass bei ihm ein Interessenkonflikt bestehe, da er sowohl Vorsorgebeauftragter als auch Erbe sei. Das Gericht hielt fest, dass, um der Selbstbestimmung Rechnung zu tragen, die Erwachsenenschutzbehörde ganz besonders da Zurückhaltung zu üben habe, wo die auftraggebende Person die Interessenkollision bei der Auftragserteilung bereits gekannt habe. Die Eigenschaft als Pflichtteilserbe hindere den Beauftragten nicht daran, das Vermögen der vorsorgenden Person sachgerecht zu verwalten. Es könne davon ausgegangen werden, dass die vorsorgende Person bei der Einsetzung des Sohnes als Vorsorgebeauftragten die latent abstrakte Interessenkollision hinsichtlich der erbrechtlichen Ansprüche ihrer Kinder in Kauf genommen hat. [vi]»

«Die Wegbedingung zukünftiger Interessenkollisionen mittels entsprechender Klauseln (Hervorhebung durch den Schreibenden) im Vorsorgeauftrag stellt eine Einwilligung in eine abstrakte Interessengefährdung dar. Der Vorsorgeauftraggeber nimmt diese explizit oder implizit in Kauf. Vergleichbar ist diese Konstellation mit Art. 28 Abs. 2 ZGB, wonach eine Persönlichkeitsverletzung dann nicht widerrechtlich ist, wenn die betroffene Person eingewilligt hat (Art. 28 Abs. 2 ZGB e contrario). Eine rechtsgenügliche Einwilligung setzt die Aufgeklärtheit der einwilligenden Person voraus. Nur wenn der Betroffene hinreichend informiert ist, verfügt er über eine ausreichende Entscheidungsgrundlage und kann die Tragweite und die Folgen der Einwilligung abschätzen. Analoges hat m.E. (meines Erachtens, der Schreibende) auch für die Inkaufnahme von Interessenkollisionen beim Vorsorgeauftrag zu gelten. FASSBIND hält fest, dass die Zulässigkeit der Wegbedingung zukünftiger, in der Person des Beauftragten liegender Interessenkollisionen nicht davon abhängt, ob die Interessenkollision abstrakt oder konkret, direkt oder indirekt ist. Ausschlaggebend muss vielmehr sein, ob die Rechtsgeschäfte sowie die auszuschliessenden Interessenkollisionen zum Zeitpunkt der Errichtung des Vorsorgeauftrags voraussehbar waren und in diesem selbst genügend konkretisiert wurden bzw. sich der erforderliche Konkretisierungsgrad aus dem mutmasslichen Willen ergibt. Nur wenn das entsprechende Rechtsgeschäft für den Vorsorgeauftraggeber voraussehbar war, kann er die Tragweite und die Folgen der Wegbedingung der Interessenkollision abschätzen und insofern bewusst über den Schutzzweck von Art. 365 Abs. 3 ZGB disponieren. Wo klar und ausdrücklich ein interessenkollisionsbehaftetes Geschäft in Kenntnis der Lage von der vorsorgenden Person gewollt ist, wird der gesetzliche Automatismus von der Selbstbestimmung überlagert und die Wegbedingung ist als zulässig zu erachten. Entsprechendes hat insbesondere auch bei Selbstkontrahieren und Doppelvertretung zu gelten, bei denen offenkundig eine Interessenkollision besteht. Sofern es dem ausdrücklichen Willen des Vorsorgeauftraggebers entspricht, muss daher im Lichte der Selbstbestimmung etwa auch der Kauf einer Liegenschaft durch den Beauftragten selbst zulässig sein, der zu einem im Vorsorgeauftrag genannten, weit unter dem üblichen Marktwert liegenden Kaufpreis erfolgte. Dasselbe hat für Schenkungen zu gelten.[vii] »

Zusammenfassung

Der Vorsorgeauftrag ermöglicht es dem Auftraggeber, im Voraus festzulegen, wer im Falle der eigenen Urteilsunfähigkeit für einen sorgen soll. Er ermöglicht es auch, detailliert festzulegen, wie der Beauftragte für einen sorgen soll.

Ohne andere Anordnungen hat der Beauftragte jedoch stets den objektiven Willen der urteilsunfähigen Person zu beachten (sozusagen aus einer Vogelperspektive), wenn er nicht riskieren will, rechtliche Probleme zu erhalten. Eigene Interessen der beauftragten Person dürfen nicht existieren, ansonsten besteht eine Interessenskollision.

Das Schweizer Recht (Art. 365 Abs. 3 ZGB) sieht vor, dass bei Interessenskollisionen die Vertretungsbefugnisse der beauftragten Person automatisch entfallen. Dies hat zur Folge, dass die KESB zuständig wird und / oder, wenn bereits gehandelt wurde, das Geschäft rückabgewickelt wird und wenn das nicht klappt, Schadenersatzansprüche drohen sowie überhaupt Strafverfahren drohen.

Hat die urteilsunfähige Person konkrete individuelle Interessen beziehungsweise Anordnungen geäussert, welche dem objektiven Interesse nicht entsprechen, muss, wenn man das «Zepter» in der Hand halten und kein Beweisproblem mit entsprechenden rechtlichen Gefahren haben will, vom Auftraggeber dafür gesorgt werden, dass seine vom objektiven Interesse abweichenden subjektiven Interessen Eingang in den Vorsorgeauftrag finden und zwar in einer so detailliert ausgearbeiteten Formulierung, dass kein Zweifel daran besteht, dass die urteilsunfähige Person damals genau wusste, worum es geht und welche Rechte sie abgibt.

Ein Vorsorgeauftrag, der solche konkreten subjektiven Anordnungen (gegen das objektive Interesse) enthält, könnte von der KESB jedoch kritisch betrachtet werden, insbesondere wenn daraus Vermögensminderungen resultieren, die letztlich den Staat belasten könnten. Obwohl die Selbstbestimmung der urteilsunfähigen Person im Zentrum steht, birgt dies potenzielle Konflikte und rechtliche Risiken und Auseinandersetzungen mit der KESB.

Wer solche jedoch nicht scheut und das Interesse an einer individuellen Gestaltung höher wertet, baut die Klauseln dennoch ein im Wissen darum, dass sie allenfalls nicht funktionieren oder man mit der KESB streiten müsste.

Der Einbau eine Klausel, in welcher man lediglich die Interessenskollision genehmigt und die Anordnungen nicht konkret ausarbeitet, ist eher nicht genügend.

Fazit

Um die Herausforderungen und Risiken im Zusammenhang mit Interessenskollisionen bei Vorsorgeaufträgen zu minimieren, sollten Vorsorgeaufträge so sorgfältig und rechtlich fundiert wie möglich erstellt werden. Dabei ist es bei vom objektiven Interesse abweichenden individuellen Interessen wichtig, Klauseln aufzunehmen, die den konkreten Willen des Auftraggebers so genau und nachvollziehbar wie möglich festlegen. Vor allem, damit niemand, weder Dritte (andere Verwandte zum Beispiel) noch die KESB (der Staat mit seinen eigenen finanziellen Interessen) oder nur erschwert behaupten kann, der Auftraggeber hätte nicht gewusst, was er hinsichtlich seiner Rechte macht.

Diese Klauseln müssen die Möglichkeit eröffnen, dass gegen die objektivierten Interessen des Auftraggebers gehandelt werden darf, sofern dies seinem ausdrücklich geäusserten Willen entspricht.


[i] «Medizinische Massnahmen, die eine Verlängerung des Lebens ermöglichen, haben stets auch vermögensrechtliche und damit auch erbrechtliche Auswirkungen (Numa Tschopp, Die Gefahr von Interessenskonflikten beim Vorsorgeauftrag, Schulthess 2024, Seite 57 Rz. 103, mit Verweisen).

[ii] Numa Tschopp, Die Gefahr von Interessenskonflikten beim Vorsorgeauftrag, Schulthess 2024, Seite 62 Rz. 111, mit Verweisen

[iii] Numa Tschopp, Die Gefahr von Interessenskonflikten beim Vorsorgeauftrag, Schulthess 2024, Seite 58 Rz. 104, mit Verweisen

[iv] Numa Tschopp, Die Gefahr von Interessenskonflikten beim Vorsorgeauftrag, Schulthess 2024, Seite 59 Rz. 106, mit Verweisen

[v] Numa Tschopp, Die Gefahr von Interessenskonflikten beim Vorsorgeauftrag, Schulthess 2024, Seite 59/60 Rz. 106, mit Verweisen

[vi] Numa Tschopp, Die Gefahr von Interessenskonflikten beim Vorsorgeauftrag, Schulthess 2024, Seite 60 Rz. 107, mit Verweis auf Entscheid des Obergerichts, Kindes- und Erwachsenenschutzgerichts des Kantons Bern, publiziert in ZKE 2017, Nr. 5, S. 444.

[vii] Numa Tschopp, Die Gefahr von Interessenskonflikten beim Vorsorgeauftrag, Schulthess 2024, Seite 61/62 Rz. 110, mit Verweis

gian.pedolin@schweizer-rechtsanwalt.com
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